“Weißt du, es gibt Dinge, die macht man nur einmal im Leben: Man heiratet nur eine Frau und tritt nur einmal einer Partei bei.” Das war eine der zahlreichen Weisheiten von Klaus Rösch. Er war ein Mann mit Grundsätzen und Überzeugungen. Für die meisten Lebenslagen hatte er einen entsprechenden Satz parat, der ihm immer im richtigen Moment über die Lippen kam.

Überhaupt war er ein großartiger Redner. Ich habe vieler seiner Auftritte erlebt, meistens vor einem mittelgroßen FDP-Publikum. Er war ein solches Talent, dass er eine halbe Stunde lang frei in einem Wirtshaus vor der Menge reden konnte, bis wirklich auch der letzte im Raum überzeugt war. Danach konnte er eine halbe Stunde lang das Gegenteil von dem erzählen, was er zuerst gesagt hatte – und die Leute würden ihm wieder glauben.

Und sie hätten dabei Tränen in den Augen gehabt.

Die Freiheit von staatlicher Bevormundung UND von dem wachsenden Einfluß der Großkonzerne – das war sein großes Thema. Er sah die Macht von Deutscher Bank und Co. als ebenso bedrohlich an wie die von Bürokraten und Beamten. Darüber konnte er stundenlang sprechen. Auch über die Beeinflussung der politischen Kaste durch die Industrie kannte er aus eigener Erfahrung.

Eine jener Anekdoten, die er gerne erzählte, war eine Ausschuss-Reise deutscher Bundestagsabgeordneter. Das muss Anfang der 80er Jahre gewesen sein. Er ging um ein französisches Atomkraftwerk. Atomkraft war auch damals schon umstritten. Aus irgendeinem Grund war die Zustimmung des Bundestages erforderlich – sei es, dass deutsche Technik zum Einsatz kommen sollte, oder sei es, dass das Kraftwerk an der deutsch-französischen Grenze stand. Auf jeden Fall reiste eine deutsche Delegation nach Frankreich, um sich vor Ort einen Einblick zu verschaffen.

Als die Abgeordneten am Flughafen, wo sie in eine eigens gecharterte Maschine des französischen Atomkonzerns stiegen, verabschiedeten sich ihre Frauen am Flughafen von ihnen mit den Worten “Wehe, ihr stimmt hinterher zu, dann wissen wir genau, was dort gelaufen ist”. Die Ehefrauen ahnten, dass die französische Seite die Abgeordneten nicht nur mit Kaviar und Champagner zu bestechen versuchen würden. Wer zustimmte, habe sich bestechen lassen – womöglich nicht nur mit lukullischen sondern auch fleischlichen Verlockungen, so ihre Vermutung. Das sind Gedanken, die sich jeder hinter die Ohren schreiben sollte, der an bezahlten PR-Reisen teilnimmt. Wer “Wes Brot ich ess’, des Lied ich sing'” praktiziert, hat weder als Abgeordneter noch als Journalist seine Aufgabe verstanden.

Worüber er sich auch aufregte, dass waren überzogene staatliche Sicherheitsmaßnahmen. Am Tag nach dem 11. September sprachen wir miteinander. Der islamistische Terror ärgerte ihn zwar. Aber er verdächtigte schon damals die USA mit Al Qaida gemeinsame Sache zu machen oder gemacht zu haben, was ja den Tatsachen entsprach und später mehr und mehr zum Thema wurde. Viel mehr als Muhammed Atta und seine Wahnsinnstat empörte er sich aber über die langen Wartezeiten am Flughafen und die neuen Richtlinien beim Check-Inn.

“Sie werden jetzt alle Konzepte aus der Schublade holen und uns noch mehr filzen, als sie es bisher schon machen”, so Klaus Rösch. Das war prophetisch. Wenig später folgten erhebliche Verschärfungen im Flugverkehr mit No-Fly-Lists, auf die viele Unschuldige gerieten, mit Wasserflaschen- und Feuerzeug-Verboten, Bodyscanner und und und. Und immer treffen diese Maßnahmen die normale weiße, christliche Bevölkerung, obwohl es ausreichen würde, die Moslems zu kontrollieren, was aber die politische Korrektheit verbietet.

Klaus Rösch wurde am 19. Oktober 1945 im Tübingen geboren. Er war schon als Schüler in der FDP aktiv. Später berichtete er immer stolz: “Ich habe allen Parlamenten angehört, denen mal als Deutscher angehören kann.” Gemeint waren: Kommunalparlament, Landtag, Bundestag, EU-Parlament. Das größte war natürlich seine Zeit im Bundestag, in den er dank des guten FDP-Ergebnisses von 1980 reingerutscht war.

Im Zuge der Bonner Wende wurde der Bundestag vorzeitig aufgelöst. Klaus Rösch gehörte zu den Klägern, die vor dem Bundesverfassungsgericht versucht haben, die Neuwahl zu verhindern. Erfolglos. Die FDP sank nach dem Regierungswechsel von 10 auf fünf Prozent ab, und Klaus Rösch verlor seinen Parlamentssitz. Genscher und Lambsdorff, die FDP-Granden, die Helmut Kohl den Weg ins Kanzleramt geebnet hatten, waren für ihn gekauft. Er kannte sie alle und wusste über die meisten der FDP-Spitzenvertreter eine Geschichte zu erzählen.

Das war alles schon Geschichte, als ich Klaus Rösch 1994 kennenlernen durfte.

Mehrfach hatten Parteifreunde seinen Namen erwähnt. Ich hatte Dinge über ihn gehört, die mir nicht gefielen: Er sei ein FDP-Linker. Er habe Carola von Braun seinerzeit ihre legendäre Rede für den Berliner FDP-Parteitag 1990 geschrieben, mit der sie den Amtsinhaber Hermann Oxford als Landesvorsitzenden davongejagt habe. Er sei ein Mastermind der Parteipolitik. Ich war nicht neugierig und dachte mir nur: Wozu mit dem treffen?

Und dann saßen wir im Café O-Ton in der Knesebeckstraße. Es war der Abend der Bundestagswahl 1994 oder kurz davor. Also eine hochpolitisierte Zeit. Aus FDP-Sicht war die Lage schlecht, aber nicht aussichtslos. Nach etlichen Niederlagen bei Landtagswahlen schafft sie den Wiedereinzug in den Bundestag und eine (letzte) Amtszeitverlängerung für Schwarz-Gelb.

Klaus Rösch, einige weitere Parteifreunde und ich saßen an einem Tisch und sprach über diese Dinge. Ich war sofort hin und weg. Er konnte die Zusammenhänge so genial erklären, dass ich mir wie in Vorlesungen manchmal Notizen machte. Wir sprachen von Anfang eine Sprache: gleiche Partei, gleiche Vorlieben, er Betriebswirt, ich BWL-Student.

Fortan gehörte Klaus Rösch zu meinem FDP-Freundeskreis. Gemeinsam fochten wir auf zahlreichen Parteitagen, um die Berliner FDP völlig umzukrempeln. Zweimal (1996, 1998) traten wir mit Alexander von Stahl an der Spitze an. Er sollte Landesvorsitzender werden und der linksliberalen Berliner FDP ein ganz neues Law-and-Order-Gesicht geben. Gemeinsam hoben wir den Verein “Nein zur Fusion, Berlin bleibt frei” aus der Taufe, der gezielt in Westberlin 1996 Stimmung gegen die geplante Länderfusion machte. (Im Osten machte das die PDS.) 1997 initiierten wir die erste Kampagne für einen Mitgliederentscheid in der FDP gegen die Euro-Einführung.

Von ihm habe ich gelernt, dass politikfähig zu sein, vor allem bedeutet, dass du Geschäfte mit dem Gegner zu machen bereit sein musst. Und dass gegenseitiges Vertrauen dabei besonders wichtig ist. Wer nicht vertrauenswürdig ist oder nicht geschäftsfähig, der wird es in der Politik zu nichts bringen. Auf der anderen Seite sind Überzeugungen um so wichtiger, auch wenn jemand hin und wieder gezwungen ist, Kompromisse einzugehen.

Außerdem hat er mir die Augen dafür geöffnet, wie wichtig der Kontakt zur Basis ist. Die normalen Leute kümmern sich nicht so sehr um politische Fragen wie wir, die wir in Parteien organisiert sind. Die politische Linke mit all ihren substanzlosen Heilsversprechen versteht sich super darauf, diese Leute für sich einzunehmen. Linke machen utopische Versprechungen und treten den Leuten nach der Wahl in den Hintern. Das müssen wir noch besser rausstellen und die Leute dafür sensibilisieren. Stattdessen bietet die Rechte nur die harte Realität als Gegenprogramm, und das wird als Ellenbogengesellschaft oder Raubtierkapitalismus diffamiert. In Wahrheit jedoch sind Fleiß und Anstand die einzigen Wege zum Glück.

Später trennten sich unsere Wege, aber ganz aus den Augen verloren haben wir uns nie. Ich habe Klaus Röschs Leitsatz, man trete nur einmal einer Partei bei, nicht beherzigt. 2007 verlies ich die FDP. ich hatte die Hoffnung aufgegeben, dass diese Partei nochmal auf den Pfad der Tugend zurückkehrt und sich ernsthaft für Freiheit und Rechtsstaat einsetzt. (Zu Recht.) Danach kam eine gefühlte Ewigkeit nichts. 2013 schloss ich mit der Alternative für Deutschland an, die in meinen Augen die legitime Verlängerung unseres FDP-internen Projekts aus den 90ern ist. Mehrere meiner damaligen Wegbegleiter wie Volker Graffstädt und Klaus Gröbig sind heute ebenfalls in der AfD.

Diskussion in der Bibliothek des Konservatismus (2015)

2015 lud ich Klaus Rösch und Alexander Dilger (ex-FDP, damals noch AfD) in die Bibliothek des Konservatismus zu einer Diskussion über die Frage “Wie viel Liberalismus steckt in der AfD?” Klaus klagte über etatistische Passagen im Programmentwurf und im sächsischen Wahlprogramm. Nun ja. Ich entgegnete, dass im FDP-Programmen auch nicht immer nur die reine Lehre stehen würde. Es war eine gute Auseinandersetzung, und wir gingen als Freunde auseinander. Wir nahmen uns vor, öfter mal wieder etwas gemeinsam zu unternehmen.

Dazu kam es leider nicht. Der Kontakt beschränkte sich auf einige Emails. Bis ich letztes Jahr betrübt von einem Freund erfuhr, dass Klaus Rösch in ein Pflegeheim gekommen sei. Du musst ihn mal besuchen, war mein Gedanke. Leider habe ich diese Chance verstreichen lassen. Klaus Rösch ist am 18. Februar 2018 gestorben. Er hinterläßt eine Frau und (wenn ich mich richtig erinnere) zwei Kinder.

Möge er in Frieden ruhen.

Klaus Rösch wird am 5. März 2018 um 14 Uhr in Tübingen beigesetzt.