Gunnar Schupelius hat eine interessante These aufgestellt: Niemand hat das Recht auf absolute Ruhe vor der eigenen Haustür. Der BZ-Kolumnist hat einen Artikel darüber verfasst, dem über 80 Prozent der Leser zustimmen (Stand: 8. August 2018, 10 Uhr).

Er schildert die Empörung einiger Anwohner über das Weinfest am Rüdesheimer Platz. Schöne Ecke, tolles Ereignis. Die Leute aus der Nachbarschaft sitzen abends beim Rießling zusammen und quatschen. Einigen Misanthropen ist das aber zu laut. Schupelius hat einen Gutachter mitgebracht, der eine Amsel und eine zugeschlagene Autotür als lauteste Ereignisse identifiziert hat und kommt das zu dem Schluß: „Wer in der Innenstadt lebt, hat es immer mit einem gewissen Lärmpegel zu tun. Man kann nicht alles haben.“

Ich sehe das auch so. Lärmschutz wird überbewertet. Er ist längst zur kleinen Schwester vom Umweltschutz geworden: Er ist ein scharfes Schwert in der Hand der Spaßbremsen, rotgrünen Spießbürgern und allerlei anderen Missvergnügten dieser Welt geworden, die nur ihre Nachbarn piesacken wollen.

Ja, klar: Es gibt Grenzen. Wenn jemand in meinem Haus ständig laute Partys feiern würde bis drei Uhr morgens und nicht mit sich reden läßt, würde ich vermutlich auch irgendwann die Polizei holen. Oder wenn mitten in einer ruhigen Wohngegend plötzlich eine Diskothek aufmachen würde (was deutsche Gesetze verhindern), dann wäre das auch ein Unding. Würde ich mich auch nicht gefallen lassen.

Aber wir haben eine Reihe skurriler Fälle, wo die Forderung nach Lärmschutz wie am Rüdesheimer Platz merkwürdige Blüten treibt. Da sind immer mal wieder Berichte über Kindergärten oder Spielplätze, über die sich Anwohner wegen des Lärms beschweren. Der Klassiker unter den Lärmschutzgeschichten: Rentner sauer über spielende Kinder. Ich kann deren Unmut nachvollziehen, den Betroffenen aber nur sagen, dass sie das leider ertragen müssen. Denn: Angesichts des Geburtendefizits brauchen viel mehr Kinderlachen in Deutschland. Wer da spielende Kinder als Problem identifiziert, hat das eigentliche Problem unserer Zeit aus den Augen verloren.

Geradezu verlogen ist die neue Debatte über knatternde Motorroller. Hier wurde unlängst ein neuer Nebenkriegsschauplatz im Kampf gegen den Verbrennungsmotor eröffnet. Fahrverbote forderte ein Kommentator in der Berliner Zeitung gleich. Höchststrafe also. Im Kampf gegen den Individualverkehr ist jedes Mittel recht.

Das gilt natürlich erst recht für die wahnsinnigen Tempo-30-Zonen allerorts. Die werden mal so, mal so begründet. Oft genug wird der angeblich notwendige Lärmschutz herangezogen, der zwischen 22 und 6 Uhr morgens bald die ganze Stadt lahmlegt. Im Falle einer AfD-Regierungsbeteiligung werden wir dafür sorgen, dass diese ganzen Drosselungen wieder abgeschafft werden.

Flugzeug im Anflug auf Tegel über Pankow

Wirklich laut ist es in Einflugschneisen. Ich weiß das, weil ich über ein Jahr in der von Tegel (Aroser Allee) gewohnt habe. Wenn da ein Flugzeug über dich hinwegdonnert, dann ist jedes Telefonat für die Dauer von Sekunden unterbrochen. Sofern das Fenster offen ist. Ich habe da gewohnt, weil die Miete günstig und die Wohnung schnell verfügbar war. Bin aber wieder weggezogen, weil es zu laut war. Nie wäre ich darauf gekommen, jemanden zu verklagen oder für die Schließung von Tegel einzutreten. Da ist ein Flughafen, deswegen ist es laut. Niemand hat das Recht auf totale Ruhe. Wer es ruhig haben will, kann doch aufs Land ziehen. Das Lärmargument wird von den Gegnern von Mobilität gerne herangezogen, um die Schließung von Tegel zu begründen. Was für ein Wahnsinn! Dann könntet ihr Schönefeld und den BER ja auch gleich dichtmachen. Fahren wir einfach alle nur noch mit dem Fahrrad…

Abschließend noch ein anderer Aspekt, der oft übersehen wird: Lärm kann auch Leben retten. Denken wir nur mal an die Straßenbahn. Mal fährt eine über eine 13jährige, die stirbt. Mal wird ein Fußgänger mitgeschleift. Mal wird ein Radfahrer erfasst. These: Das hängt auch damit zusammen, dass die Bahnen inzwischen fast geräuschlos fahren, weshalb die BVG total stolz ist. Andere, unaufmerksame Verkehrsteilnehmer neigen dazu, sie nicht früh genug wahrzunehmen. Ein bißchen mehr Lärm wäre gar nicht so schlecht an dieser Stelle.