
Heinrich Lummer hat zeit seines Lebens versucht, die Stadt Berlin lebenswerter zumachen. Und er hatte gegen die gleichen Widerstände zu kämpfen wie wir heute.
In der Prenzlauer Allee hing mal eine Bronzeplatte, die an die deutschen Heimatvertriebenen erinnerte. Die wollte Heinrich Lummer unbedingt sehen. Ich fuhr ihn hin. Er konnte ja nicht mehr richtig sprechen. So “unterhielten” wir uns, indem vorwiegend ich redete – und er mit Kopfnicken oder -schütteln antwortete.

Wir kamen an einer Litfaßsäule vorbei, auf der ein Filmplakat von Brothers Grimm zu sehen war. Erst schaute er skeptisch, dann zeigte er darauf. Ich so: “Ja, das ist ein ausländisches Remake der Geschichten der Gebrüder Grimm.” Er schüttelte ungläubig den Kopf. So als wollte er sagen: Wollen sie auch das noch in englisch verhunzen? Warum haben sie diesem Kinofilm nicht einfach einen deutschen Titel gegeben? Gedanken, wie sie wohl jeder halbwegs Konservative sich stellt angesichts des um sich greifenden Denglisch.
Ich glaube, Lummer war froh, für diesen Fototermin mal von zu Hause rauszukommen. Der frühere Innensenator Berlin lebte nach seinem Schlaganfall 2003 zurückgezogen. Sein Leben davor war umso aufregender gewesen: Der 1932 geborene Elektromechaniker kam 1957 aus Essen nach Berlin und studierte Politologie. Er war sogar Asta-Vorsitzender. Das war einige Jahre vor 1968 noch möglich. Damals verstand sich die Freie Universität Berlin ja noch als Gegenstück zur stalinistisch gesäuberten Humboldt-Universität in Ost-Berlin. Die Stadt stand unter dem Schock der Teilung und dann des Mauerbaus. Wenige Jahre später glitt das gesamte akademische Milieu nach links auf, woran sich bis heute wenig geändert hat.

Heinrich Lummer wurde 1967 ins Berliner Abgeordnetenhaus gewählt. 1969 stieg er zum CDU-Fraktionschef. Keiner hat es auf diesem Schleudersitz länger ausgehalten als er (bis 1980). Er redet in der Sprache des kleinen Mannes auf der Straße, obwohl er Politikwissenschaftler war. Ihm ist es zu verdanken, dass die CDU, die bis dahin in Berlin keinen Stich gegen Willy Brandts SPD machte, zu einer echten Volkspartei wurde. Eine Oppositionspartei, die nicht vom Fleck kommt, braucht einen Sympathieträger und Kontinuität an der Spitze. Wer alle Naselang sein Führungspersonal ausgewechselt, endet wie die SPD, die seit Gerhard Schröder acht Vorsitzende verschlissen hat und jetzt gleich drei auf einmal benötigt.
Zwischenzeitlich war Heinrich Lummer auch mal Parlamentspräsident in Berlin. Den stellt ja bekanntlich die stärkste Fraktion, das war ab 1980 die Union. Deswegen steht im dritten Stock des Preußischen Landtags eine Büste Lummers. Dort werden alle Parlamentspräsidenten verewigt. Lummer steht in einer Reihe mit Friedrich Ebert und Willy Brandt. Seit ich selbst das Glück habe, Abgeordneter zu sein, führe ich Besuchergruppen regelmäßig zur Heinrich-Lummer-Büste und zeige darauf: Schaut! Heinrich Lummer war ein großartiger Bürgermeister. So einen bräuchten wir wieder.

Nach dem Regierungswechsel wurde, als die SPD-Herrschaft in West-Berlin gebrochen wurde, erhielt Heinrich Lummer eine Schlüsselposition: Als Innensenator und Bürgermeister ließ er hart durchgreifen gegen die linken Straßenkrawalle. Er war der beste, aber auch der letzte Innensenator, der so konsequent etwa gegen die Hausbesetzerszene vorging. Nach seinem Rücktritt (1986) blühte diese auf: Ab 1987 wurde die revolutionäre 1. Mai-Demo zum Großkampftag der Linken, bei denen viel zu oft eine dreistellige Zahl von Polizisten verletzte wurde. Die extreme Linke zeigt ihre Macht, der Staat dokumentiert seinen Unwillen gegen die Antifa vorzugehen. Jedes Jahr das gleiche Trauerspiel. Und kein Lummer mehr, um etwas dagegen zu unternehmen.
Lummer musste gehen, weil mehrere CDU-Größen in einen Bauskandal verwickelt waren. Seine Rolle dabei war wohl gar nicht so spektakulär, aber so ist das in der Politik. Da geht es nicht gerecht zu. Danach Bundestag. Lummer wurde nach Bonn geschickt. Bis 1998 diente er dort und galt als einer der wichtigsten Vertreter der konservativen Flügels der Unionsfraktion.
Lummer und Geheimdienste
Lummers Bild zierte in der Ausgabe 36 des Jahres 1989 den Spiegel. Schon als Student hatte Lummer für den BND gearbeitet. Er sprach mit Flüchtlingen aus der Ostzone, die zu ihrer Herkunft, ihren Fluchtursachen befragt wurden. Später hatte er mehr mit dem Verfassungsschutzes zu tun, und das kam so: Lummer war lebenslustig und hat eine Freundin in Ost-Berlin. Es stellte sich heraus, dass diese für das Ministerium für Staatssicherheit der DDR – also den nächsten Geheimdienst – arbeitete. Die Ostberliner Spitzel versuchten sogar “den Klassenfeind” Lummer anzuwerben, aber der blieb standhaft, ließ sich auch mit Fotos nicht erpressen. Auch das sollte uns heute eine Lehre sein: Auch fiesen Geheimdienstaktionen läßt es sich widerstehen, wenn jemand ein Fell hat, das dick genug ist und die Wähler hinter einem stehen.

Nach seinem Ausscheiden aus der Politik schrieb sich Heinrich Lummer für Kunstgeschichte ein, wieder an der FU. Sein Ruhestand blieb lebendig. Er wirkte bei den Deutschen Konservativen mit, deren Ehrenpräsident er bis zu seinem Ableben war. Manchmal verfasst er Kommentare in der Jungen Freiheit. Das skurrilste i-Tüpfelchen bei seinen publizistischen Aktivitäten bildete aber eine Lummer-Talkshow bei TV Berlin. Er war schlagfertig und witzig. Was lag näher, als einen wie ihn als Moderator anzuheuern. Zur Jahrtausendwende moderierte er seine eigene Sendung. Unvergessen ist der Auftritt des verkleideten Hans-Peter Kerkeling in seiner Sendung, der sich als “Rico Mielke” ausgibt und über die “Wildschweine aus dem Osten” schimpft. Lummer reagierte cool wie immer in schwierigen Situationen.
Nach etlichen kurzen Begegnungen hatte ich damals mein interessantestes Treffen mit Lummer überhaupt. 1999 planten wir gemeinsam eine politische Kampagne, die so geheim war, dass ich heute noch nicht alles darüber sagen kann. Wir wollten uns treffen. Ich rief ihn an, und er fragte, wo ich sei. Kochstraße, Axel-Springer-Verlag. Er so: “Na, dann gehen wir ins Sale e Tabbachi.” Das ist witzig, denn das war damals das Stammlokal der taz-Redaktion. So trafen wir uns coram publico im Haus eines linken Verlags und tranken Café oder Cola.
Zweimal musste Lummer aufstehen, weil jemand ihn erkannt hatte. Die Leute traten ehrfürchtig an den Tisch und dankten ihm für seinen jahrelangen Einsatz für das Vaterland. “Ich wollte Ihnen nur sagen: Machen Sie weiter so, Herr Lummer.” Und das im taz-Lokal. Ich so: “Das passiert Ihnen wohl öfter.” Antwort: “Man hat seinen Fanclub.” Er sagte es ohne jede Starallüren. Viele Leute im politischen Geschäft nehmen sich selbst so unglaublich wichtig. Heinrich Lummer war anders. Für ihn waren gute Kontakte zu Bürgern Mittel zum Zweck. Er wollte seine Botschaft rüberbringen, nicht bejubelt werden.
Lummer wäre heute vermutlich in der AfD
Ich habe Heinrich Lummer später immer wieder bei Konferenzen getroffen, auch als er schon krank war. 2009 wurde die Büste eingeweiht, sein letzter großer Auftritt in der Öffentlichkeit. Eine tolle Feier, organisiert vom damaligen Parlamentspräsidenten Walter Momper (SPD). Ich war kein Fan von dem, als er eine rotgrüne Regierungskoalition bildete, aber für diesen fairen Umgang mit dem früheren Mitbewerber gebührt ihm auf jeden Fall der Dank.

Lummer hat bis zum Schluß der CDU die Treue gehalten. Das ist nach einem so langen Politikerleben wohl normal. Aber: Ihn trieben die gleichen Dinge um, die uns Sorgen bereiten: Linksradikalismus, illegale Masseneinwanderung, politische Korrektheit. Er setzt immer seinen messerscharfen Verstand und seinen Witz dagegen. Manchmal auch seinen Gesang. Würde er heute in die Politik einsteigen als 30jähriger – er könnte nur zur AfD gehen, da die CDU der Monika Grütters’ und Annegret Kramp-Karrenbauers nicht mehr seine Partei wäre.
Am 15. Juni hat das Herz dieses Mannes aufgehört zu schlagen. Heinrich Lummer wird am Dienstag, den 2. Juli 2019, um 11.30 Uhr beerdigt. Die Trauerfeier findet in der Herz-Jesu-Kirche in der Riemeisterstraße 2, 14169 Berlin, statt. Die anschließende Beisetzung erfolgt im engsten Familienkreis.
Hier ist mein Nachruf in der Jungen Freiheit.
Ich trauere mit Ihnen um diesen aufrechten Konservativen und Demokraten.
Ganz prima Ihre Würdigung für den großartigen Berliner Bürgermeister und Senator Lummer.