Die etwas andere Story

Jesus Christus ist aus der Mode gekommen. Deswegen habe ich die Weihnachtsgeschichte ein bisschen umgeschrieben – getrieben von der Frage, was die Menschen im Altertum wohl über unsere Welt denken würden. Hier also die alternative Weihnachtsgeschichte…

Es begab sich zu der Zeit des Kaisers Augustus, dass Josef und Maria mit ihrem Neugeborenen in Bethlehem Halt machten. Sie fanden in einem Stall Zuflucht, wo sie die Nacht verbrachten. „Wir haben nicht mehr viel Wasser, und unsere Nahrung geht auch zu Ende“; klagt Maria leise, während sie ihren Jungen stillt. Doch Josef gibt sich zuversichtlich. „Vertrau’ mir, Baby, ich kümmere mich um unsere Familie.“ Er hat schon einen Plan, will in der Nähe eine neue Werkstatt aufmachen. Als Zimmermann war Josef zwar auch im Jahr 753 nach der Gründung von Rom ein Angehöriger der Old Economy, und trotzdem konnte man damals gut davon leben.

Josef würde einen Laden aufmachen und jeden Tag durcharbeiten, damit es seine kleine Familie gut hat. Aber der Mann hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Denn plötzlich standen drei Fremde in der Tür. „Wir sind die heiligen drei Könige aus dem Morgenland“, murmelt der eine und stellt sich als „Kaspar“ vor. „Und was bringt ihr?“, fragt Josef. Kaspar stellt zunächst seine beiden Kollegen Melchior und Balthasar vor und fährt dann fort: „Wir haben Gold, Weihrauch und Myrrhe. Noch wichtiger ist aber die frohe Kunde, die wir mitbringen. Sie betrifft euren Sohn im Speziellen und die Zukunft im Allgemeinen. Also zunächst zu Jesus – der ist Gottes Sohn. Die Leute werden das einige Jahrhunderte lang respektieren, aber das verliert sich in ungefähr 2000 Jahren. Dann ist der Glaube an Gott in den wichtigsten Ländern auf dem absteigenden Ast. Die Leute glauben dann an den vom Menschen gemachten Klimawandel, an die Gleichheit aller Menschen, und daran, dass bei Deutschland sucht den Superstar alles mit rechten Dingen zugeht. Ach ja, und sie denken, dass ein US-Präsident – der ist im 21. Jahrhundert so etwas wie der Nachfolger von Kaiser Augustus – den Friedensnobelpreis verdient hat, obwohl er immer mehr Soldaten in den Krieg in der Fremde schickt.“

„Was für ein Land sucht wen…?“, stammelt Josef. Er ist sich nicht sicher, den Fremden genau verstanden zu haben, schließlich hat der ja auch einen Migrationshintergrund und spricht ein etwas unsauberes Aramäisch. Aber der merkwürdige fremde König lässt sich nicht mit Zwischenfragen ablenken. Er setzt seinen Monolog fort: „In dieser Zeit, in 2000 Jahren wirst du, Maria, nicht mehr dasitzen und dir Gedanken über zu wenig Fladenbrot machen müssen. Dafür sorgt der Sozialstaat. Du bekommst allerlei Sozialleistungen. Da gibt es Hartz IV, Mutterschaftsgeld, Kindergeld und so weiter. An einem Abend wie diesem würdest du wahrscheinlich dasitzen und das zehnseitige Formular für den Elterngeldantrag ausfüllen. Später gibt es den Betreuungsgutschein. Wisst ihr, die Regierenden im 21. Jahrhundert wollen nicht, dass die Menschen Bargeld für ihre Erziehungsleistung bekommen. Zu viele Plebejer würden das Geld ja doch nur bei den Gladiatorenkämpfen verprassen oder in die Weinschenke tragen, wo sie billigen Falerner in sich hineinschütten.“

Maria und Josef verstehen kein Wort. Maria fragt vorsichtig: „Als Mutter bekäme ich im 21. Jahrhundert Geld von der Regierung, so wie in Rom, wo es regelmäßig Brot und Spiele gibt?“ „Ja, viel mehr noch, du bekommst einen Regelsatz von 350 Dinaren plus deine Miete – ohne Gegenleistung, ein Leben lang.“ Maria staunt. Josef ist noch immer skeptisch: „Woher kommt das Geld? Wird es jemandem geraubt?“ „Nein, nein – alles legal“, beruhigt ihn Kaspar. Und weiter: „Im 21. Jahrhundert musst du natürlich 70 bis 80 Prozent von deinem Geld beim Staat abgegeben. Einkommen- und Lohnsteuer, Gewerbesteuer, Umsatzsteuer, Sektsteuer, Mineralölsteuer, Sozialabgaben, Ökosteuer, Stromsteuer, Kfz-Steuer – die Herrschenden lassen sich in den nächsten 2000 Jahren so einiges einfallen. Und ein Geschäft aufmachen, so wie du dir das vorstellst – das wird auch nicht gehen. Da brauchst du Genehmigungen, Zulassungen. Es gilt eine Menge Richtlinien zu beachten.“

Zu Maria gewandt führt er weiter aus: „Um so besser für dich. Wenn du den Alten nicht mehr willst, kriegst du trotzdem Hartz IV. Ihr kriegt sogar mehr, wenn ihr getrennt lebt, weil ihr dann keine Bedarfsgemeinschaft bildet. Und außerdem sind die Gesetze so, dass du deinen Ex-Mann bis aufs Hemd ausziehen könntest. Alleinerziehende Mütter genießen so ziemlich alle Freiheiten, die du dir vorstellen kannst.“ 

Maria schaut immer noch skeptisch. „Aber ich will doch eine Familie mit …“

In dem Moment fällt ihr Josef auch schon ins Wort: „Was seid ihr für verrückte Strauchdiebe! Raus aus unserem Stall, den haben wir gemietet. Erzählt einem anderen eure Märchen aus 1001 Nacht. Eine Minute vergeht. Maria und Josef schüttelten den Kopf, Josef lacht. „Das waren vielleicht ein paar Spinner, die haben selbst zuviel billigen Falerner getrunken.“ Und Maria dreht sich um zu ihrem kleinen Jungen, der friedlich in seiner Krippe schläft. „Na mein Spatz, das ist aber ein Horrormärchen, das uns diese Fremden aufgetischt haben. Wie gut, dass es niemals so kommen wird, nicht wahr?“

Diese Geschichte erschien zuerst auf EF-Online.