Wir haben tausend Jahre gebraucht um festzustellen, dass wir keine Kaiser, Könige und Fürsten brauchen, die uns vorschreiben, was wir zu tun und zu lassen haben. Hoffentlich brauchen wir keine weitere tausend Jahre, um zu begreifen, dass wir dazu auch keine Regierungen, keine Parteien, keine Politiker und keine Funktionäre brauchen.

Roland Baader, Freiheitsfunken (2008)

Die Kritik an der Organisation der Medienanstalten erhält neuen Auftrieb. Ein im Auftrag der Grünen von Dieter Dörr erstelltes Gutachten sorgt für Empörung. Die Medienrechtler hat sich die Medienanstalt des Saarlandes genauer angeschaut, die besonders stark unter politischem Einfluß leidet, was dem Gebot der Staatsferne widerspricht.

Worum geht es?

“Diese Internetseite ist nicht verfügbar.”

“Dieses Angebot wurde gelöscht.”

“Du kannst die Postings dieses Nutzers nicht sehen.”

“Dieser Beitrag ist nur eingeschränkt verfügbar.”

Es gibt viele Formulierungen für den immergleichen Vorgang: Zensur. Auch wenn es nicht so heißt, sondern mit Datenschutz, Urheberrecht oder anderen Dingen begründet wird, so werden unerwünschte Informationen an der Verbreitung gehindert. Mal von staatlichen, mal von privaten Stellen. Meistens erfahren die Betroffenen gar nichts davon, dass und wie ihre Reichweite eingeschränkt wird.

Der Staat greift stärker denn je ins Internet ein. Mit den jüngsten Medienstaatsverträgen hat er die Macht der Medienanstalten erheblich gestärkt. Sie vergeben künftig Lizenzen und können erfolgreiche Youtuber oder Blogger noch wirksamer mundtot machen. Künftig dürften diese Behörden die Meinungsfreiheit stärker einschränken. Ich habe auf die wachsende Bedeutung dieser 14 Anstalten bundesweit in meiner Artikelserie über die Medienanstalt Berlin-Brandenburg im vergangenen Sommer hingewiesen.

Das neue Gutachten bezieht sich auf das Saarland. Der dortige Landtag hat eine CDU-Politikerin zur Chefin der Medienanstalt gewählt. Ihr Vorgänger ist aus dem Amt geschieden, weil er zum Oberbürgermeister von Saarbrücken gewählt worden ist. Dabei sollen die Medienanstalten doch staatsfern sein. Wie können Parteipolitiker, die sich im Vorstandsamt dieser Behörde die Klinke in die Hand geben, für mediale Unabhängigkeit sorgen? Das ist absurd. Natürlich werden sie dafür sorgen dass ihre Parteien und ihre Medien bevorzugt und die politischen Wettbewerber benachteiligt werden. Alles andere ist lebensfremd

Die Saarländer sind Wiederholungstäter. Auch in die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) haben sie einen CDU-Politiker entsandt. Die KEF ist die angeblich superunabhängige Institution, die total unabhängig von der Politik festgestellt hat, dass die hyperunabhängigen öffentlich-rechtlichen Sender dringend 86 Cent extra ab 2021 benötigen, weil sie sonst Sturm der Liebe kürzen, die heute-show aus dem Programm werfen oder Radio1 streichen müssen.

Zurück zu den Medienanstalten: Diese sind in der Regel so ähnlich wie die öffentlich-rechtliche Sender aufgebaut. Es gibt ein “pluralistisch zusammengesetztes Kontrollgremium” (das auch meistens mit Parteisoldaten bestückt ist, aber darüber an anderer Stelle mehr), das aus seiner Mitte einen Chef wählt, der Direktor oder Präsident genannt wird. Im Saarland hingegen wird diese Position gleich vom Landtag besetzt. Mit der entsprechenden Regelung im saarländischen Medien-Staatsvertrag habe das Bundesland “eklatant gegen den Grundsatz der Staatsferne” entschieden, sagt der Medienexperte Dörr in seinem Gutachten. Weiter heißt es:

Da die Direktorin bzw. der Direktor Aufgaben wahrnimmt, die in nicht unerheblichem Ausmaß programmrelevant sind, darf über die Besetzung dieser Position nur ein staatsfern zusammengesetztes Gremium entscheiden. Dem tragen auch nahezu alle anderen Landesmediengesetze bzw. Staatsverträge Rechnung und ordnen an, dass die Direktorin oder der Direktor bzw. der Präsidentin oder des Präsidenten durch das entsprechend dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum ZDF-Staatsvertrag staatsfern zusammengesetzte, pluralistische Gremium der jeweiligen Landesmedienanstalt erfolgt.

Dieter Dörr: “Die Bestimmung des § 58 des Saarländischen Mediengesetzes (SMG) und die Vorgaben der Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG)” (2020)

Über den Medienstaatsvertrag für Berlin und Brandenburg hießt es weiter:

Lediglich in Berlin/Brandenburg und in Baden-Württemberg werden die Direktorin oder der Direktor bzw. die Präsidentin bzw. der Präsident nicht von einem staatsfernen und pluralistisch zusammengesetzten Gremium gewählt. In Berlin/Brandenburg erfolgt die Wahl zwar ebenfalls gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 des Staatsvertrags über die Zusammenarbeit zwischen Berlin und Brandenburg im Bereich der Medien durch den Medienrat. Dieser ist aber nach § 9 Abs. 1 des Staatsvertrags über die Zusammenarbeit zwischen Berlin und Brandenburg im Bereich der Medien nicht pluralistisch zusammengesetzt, sondern besteht aus neun Mitgliedern, die auf Grund ihrer Erfahrung und ihrer Sachkunde in besonderer Weise befähigt sein sollen, die Aufgaben nach diesem Staatsvertrag wahrzunehmen ( sog. Expertenmodell).

Dörr-Gutachten, Hervorhebung durch den Autor

Daher urteilt der Professor Dörr abschließend über die Berliner Regelung: “Dieses Modell weist zwar ebenfalls eine gewisse, durchaus nicht unbedenkliche Staatsnähe auf, ist aber mit der saarländischen Rechtslage nicht vergleichbar.”

Halten wir also fest: Der Experte hält den Medienstaatsvertrag von Berlin und Brandenburg, mit dem er sich in seinem Gutachten über das Pendant im Saarland nur peripher beschäftigt, für bedenklich. Vermutlich wären seine Bedenken noch größer, wenn er genauer hingesehen hätte. Denn: Der Medienrat, also das Gremium, das die Entscheidungen bei der Medienanstalt Berlin-Brandenburg fällt, ist absolut in der Hand der Parteien. Spätestens beim zweiten Blick sollte das jedem auffallen. Von Staatsferne keine Spur.

Schauen wir uns die neun Mitglieder, die paritätisch von beiden Ländern besetzt werden an. Beginnen wir mit dem Vorsitzenden, der als einziger von beiden Landesparlamenten bestimmt wird:

  1. Martin Gorholt, früher Leiter der Potsdamer Staatskanzlei, längjähriger SPD-Berufspolitiker
  2. Karin Schubert, frühere SPD-Senatorin aus Berlin, vorher Sachsen-Anhalt
  3. Markus Beckedahl, Mitglied oder ehemaliges Mitglied bei den Grünen, seine Agentur arbeitet u.a. für grüne Parteigliederungen
  4. Gabriele Wiechatzek, frühere CDU-Politikerin (MdA, später MdB)
  5. Marie Luise von Halem, früher Geschäftsführerin der Brandenburger Grünen, MdL

Diese fünf sind unschwer als Parteivertreter identifizierbar, auch wenn die CDU-Zugehörigkeit Wiechatzeks auf der Webseite der Medienanstalt unerwähnt bleibt. Oder wenn Markus Beckedahl (vorgeschlagen von den Grünen) als Medientycoon vorgestellt und seine (zumindest frühere) Parteizugehörigkeit bei den Grünen ebenso unterschlagen wird. Eine klare Mehrheit von Parteivertretern, wo Staatsferne gefragt ist. Das Bundesverfassungsgericht sagt, dass maximal ein Drittel der Mitglieder solche Kontrollgremien von Angehörigen der Nomenklatura benannt werden dürfen.

Darum lehne ich die Ausweitung der Macht für die Medienanstalten ab, Parlamentsrede vom 3. September 2020

Schauen wir genauer hin, so ist auch Stephan Goericke ein Parteisoldat. Er wird auf der Webseite der Medienanstalt als Buchautor und Firmeninhaber charakterisiert. Seine frühere Tätigkeit als CDU-Pressesprecher in Brandenburg hat leider nicht mehr in das Profil gepasst. Die Journalistin Bärbel Romanowski-Sühl ist zwar nicht selbst nachweisbar parteipolitisch aktiv, sie kann aber politisch klar zu geordnet werden. Denn: Sie studierte unter Honecker in Leipzig und arbeitete bereits in der Zone als Journalistin. Das durfte nur, wer systemtreu war. Ihr Mann kandidierte übrigens 2008 für die Linkspartei als Oberbürgermeisterkandidat in Dresden. Romanowski-Sühl wurde – wen wundert es? – von der Linkspartei vorgeschlagen.

Nichts davon ist ehrenrührig. Die genannten Personen mögen charakterlich anständige unbescholtene Bürger sein. Und es kann niemandem die Zugehörigkeit seines Partners zu einer Partei vorgeworfen werden. Aber: Es behaupte bitte niemand, dieses Gremium sei staatsfern und unabhängig besetzt. Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg wird kontrolliert von einem Gremium, in dem sieben von neun Personen eindeutig den Machthabern im Land zugeordnet werden können. Sie versuchen nicht einmal, den Anschein zu erwecken, Gremien würden unabhängig besetzt. Natürlich werden solche Parteisoldaten im Sinne des Establishments kritische Stimmen mundtot machen und ihre Agenda durchsetzen. Wie soll diese Runde Garant für Vielfalt sein?