Eine kleine, aber typische Anekdote in der Serie ist eine Szene in Münster. Dort besprechen ein Reporter und ein Fotograf einen Einsatz. Auf einem Schränkchen steht eine Bierdose, das ganz sieht stark nach einem Hotelzimmer aus. Der Bild-Reporter erklärt seinem Mitarbeiter, wie die beiden am besten vor eine Immobilie gelangen, die zur Hisbollah gehört. 

Propagandablatt oder Wahrheitsmedium?

Im ganzen Land sind Bild-Reporter ausgerückt, um zu dokumentieren, wie der Staat dieser vermeintlichen Terrororganisation den Garaus macht. Woher wussten sie das? Julian Reichelt und sein Politik-Chef sind vorher im Dienstwagen zu Horst Seehofer gefahren worden. Dort wurde ein vertrauliches Gespräch geführt, von dem wenig bis nichts offenbart wird, aber der Kontext ist klar: Seehofer weiht die beiden Journalisten in die Lage ein, damit sie ihre Reporter losschicken. “Es ist im Interesse der Bundesregierung, einen solchen Erfolg dokumentiert zu wissen”, sagt der Politik-Chef, der einen Moment lang seine Rolle mit der eines PR-Beraters von Horst Seehofer zu verwechseln scheint. Es ist eine Inszenierung. Reichelt selbst begibt sich im Kapuzenpullover zum Einsatzort und schmunzelt in die Kamera: „Es ist schön mal wieder so unterwegs zu sein.“

Hauptstadtpatrioten diskutieren über die Bild-Doku

An dieser Stelle ist die Bild, das was ihr oft vorgeworfen wird, nämlich ein regierungsnahes Propagandaorgan, das mit exklusiven Informationen versorgt wird, um die Massen auf Linie zu bringen. Das passt auch überhaupt nicht zu den eigenen Bekundungen, die Zeitung würde „die Mächtigen“ kontrollieren, wenn sie sich so vor deren Karren spannen läßt. (Auch wenn das Hisbollah-Verbot seine Berechtigung haben mag.)

Das gleiche gilt für die Unterwürdigkeit im Umgang mit Bundesministern, die bei Bild zu Gast sind. Natürlich muss ein Medium prominente Interviewpartner freundlich behandeln, aber gegenüber Peter Altmaier, Heiko Maas oder Jens Spahn wirken die Bild-Vertreter nicht gerade wie harte Befrager. Altmaier wird gefragt, ob Fledermaussuppe verboten würde, und Spahn kommt mit einer halb-garen Antwort zur Corona-Studie der Bundesregierung von 2012 davon. Noch herzlicher scheint das Verhältnis von Julian Reichelt zu Markus Söder zu sein, mit dem er telefoniert und den er immer als „Södermarkus“ bezeichnet. Oder der gute Draht zwischen seinem Intimus Paul Ronzheimer und Sebastian Kurz. Ronzheimer hat dessen Biographie verfasst. Er behauptet, daher besonders hart nachzufragen, aber diesen Eindruck hat der Zuschauer nicht unbedingt.

Nähe zu Kurz, Söder und anderen

Diese herzliche Haltung gegenüber christdemokratischen Regierungsvertretern steht in umgekehrt proportionalem Verhältnis zur harten Linie gegenüber ausländischen Potentaten. Je weiter weg, desto härter. Der König von Thailand etwa oder die kommunistische Partei Chinas. Gegen die wird vom Leder gezogen. Bild-Mitarbeitern würde er derzeit von einer China-Reise abraten, sagt Reichelt einmal in der Serie. Da ist die Klappe groß, aber zu Hause wird bei Mutti geduckmäusert.

Diese teilweise mit stolzer Brust zur Schau gestellte Nähe zu den Mächtigen ist das eine. Aber es gibt auch die andere Seite der Bild. Das ist die bessere, die „Bild-deckt-auf“-Seite. Das erleben wir gerade mit der Serie über das Impf-Chaos. So nennen sie das bei Bild. Und das ist zu recht ein großes Aufregerthema. Wie kann das sein, dass einer der Impfstoffe in Deutschland entwickelt wird, aber jetzt in anderen Ländern zum Einsatz kommt? Wieso hat Merkel den Erwerb für Deutschland verhindert? Das ist eine Mischung aus EU-Größenwahn, Unfähigkeit und Pflichtvergessenheit zum Quadrat. Und die Bild hat dies – anders als die öffentlich-rechtlichen Qualitätsmedien etwa – aufzudecken versucht.

Bild hinterfragt auch die Rolle von Christian Drosten. Das ist absolut berechtigt, ist der Chefvirologe von der Charité doch zu einer Figur von nationaler Bedeutung geworden. Das was als Kampagne gegen Drosten diffamiert wird, ist genau das, was guten Journalismus ausmacht. Hier lag die Bild richtig. 

Die Linken hassen die Bild

Ihr schlägt enormer Hass entgegen. Ein Hass, den jeder kennt, der irgendwo rechts der Mitte zu Hause ist. Umso erstaunlicher ist, dass die Zeitung sich dann zeitweise wieder zum Verbündeten der Linke macht und den Kampf gegen Rechts führt. 2015 hat sie wochenlang erstmal “Refugees welcome”-Propaganda gemacht, bevor sie umgeschwenkt ist. So als wären diverse Probleme der illegalen Einwanderungswelle nicht vorher absehbar gewesen.

Der Leser kann sich bei ihr nie sicher sein, welche Position sie einnimmt. Das ist deswegen schlecht für das Blatt, weil die Leser heute – anders als früher – eindeutig eher Mitte rechts zu finden sind. Zum Teil sind die Auflagenverluste vermutlich auch darauf zurückzuführen. Vor zehn Jahren lag sie noch bei fast drei Millionen, jetzt noch bei 1,2 Millionen.

Daran ändert auch keine Digitalisierungsstrategie etwas. Im vierten Teil der Reportage weist Reichelt den Vorwurf der Wankelmütigkeit in dieser Frage weit von sich. Er habe seine Position nicht geändert. „Wir haben uns Refugees welcome nicht anders überlegt“, sagt er. Die Bedingungen seien heute eben anders. Wahrscheinlich glaubt er das sogar. Es wird untermauert durch ein Live-Interview mit Paul Ronzheimer, der aus Lesbos berichtet. 

Julian Reichelt und Bild-Mitarbeiter bei der Arbeit über die Schulte schauen

Die Dokumentation zieht sich über Monate hin. Von den ersten Corona-Nachrichten bis in den Herbst. Deswegen ist die Corona-Krise natürlich das bestimmende Ereignis. Immer wieder wird der Zuschauer Zeuge von Sitzungen der Redaktionsspitze. Julian Reichelt erklärt dem Zuschauer die Welt. Dabei raucht er unzählige Zigaretten, die behaarte Brust schaut aus dem Hemd. Seine Mitarbeiter telefonieren mit Freunden oder sprechen über nahe Verwandte. Das hat der Produktionsfirma zu Unrecht den Vorwurf eingebracht, sie sei zu nahe dran, das ganze sei zu geschönt. Aber das sind unrealistische Erwartungen. Für das Kamerateam sind das großartige Einblicke, von denen der Zuschauer einen Erkenntnisgewinn hat, der mehr wert ist, als wenn sie das Geschehen jetzt negativ kommentieren oder in Szene setzen würden. Und natürlich läßt jemand wie Julian Reichelt nicht einfach jeden an sich ran, sondern jemandem, mit dem er arbeiten kann, dem gegenüber ein gewisses Vertrauen besteht. Das wird jeder, der eine Dokumentation über sich anfertigen läßt, so machen.

Chrstian-Lindner-Fotos in Unterwäsche gefällig?

Die Doku hat einen riesigen Unterhaltungswert. Zu den Einblicken, die dem Zuschauer gewährt werden, gehören solche Durchhalteparolen oder Arbeitsanweisungen, die die Firmenleitung hat anbringen lassen. Eine lautet sinngemäß: „Jede Ausgabe der Bild bringt den Leser wenigstens einmal zum Lachen.“ Das ist eine gute Vorgabe für jede Zeitung. In der Doku kommt das auch nicht zu kurz. So spielt der Bild-Reporter Filip Piatov seinen Anrufbeantworter ab, nachdem Christian Drosten möglicherweise unabsichtlich dessen Handynummer getwittert hatte. Neben Beschimpfungen spricht da ein Mann ein Angebot aufs Band: „Haben Sie Interesse an Bildern von Christian Lindner in Unterwäsche auf seinem Balkon?“

Überraschend sind nicht nur die Einblicke, sondern auch die freimütige Kritik, die Mitarbeiter an Reichelt oder der Unternehmensführung üben. Auch das spricht eher für die Bild als gegen sie. Es gibt auch noch solche Politik-Dinosaurier Experten wie Karl Lauterbach, die sich immer wider kritisch zur Bild äußern, so dass niemand sagen kann, das wäre ein reiner Bild-Propaganda-Streifen.