Tagesschau, 13. Februar 2022

Das soll kein langer Beitrag werden. Ich könnte damit beginnen, dass ich 2014 eine Hilfsaktion für verarmte Ukrainer und zugunsten der Demonstranten auf dem Maidan durchgeführt habe. Dass ich die Annexion der Krim durch Russland skrupellos fand, vor allem aufgrund der Umstände, unter denen sie erfolgt ist. Oder dass ich immer wieder mit Hilfsprojekten für die Bewohner dieses armen und korrupten Landes zu tun habe. Und dass ich Auftragsmorde in fremden Ländern durch Geheimdienstkiller nicht witzig finde.

Im Gespräch mit orthodoxen Geistlichen auf dem Maidan (2014)

All das würde nur einem Zweck dienen: zu zeigen, dass ich kein bedingungsloser Putin-Fan bin, der sich jetzt – erwartbar – auf die Seite des Kreml-Chefs schlägt. Aber diese Andeutungen reichen eigentlich. Was ich zum Ukrainekonflikt zu sagen habe, ist auch nicht viel länger: 

Der Westen muss aufhören mit seiner Kriegshetze und dem Gerede von einem bevorstehenden Krieg. Die Propaganda in westlichen Medien und die Gleichschaltung (siehe das RT-Verbot) sind unerträglich geworden. Ich glaube keinem der Beweise, dass eine Invasion der Ukraine in dieser Woche stattfinden wird.

Vier Gründe, die gegen einen Krieg sprechen

  1. Putin hat etwas zu verlieren. Auch wenn in einem solchen Krieg der Sieger feststehen würde, so müsste Russland den Sieg bezahlen. In der Ukraine leben 40 Millionen Leute. Das Land hat 200.000 Soldaten und 900.000 Reservisten. Auch wenn die nur halbherzig vom Westen unterstützt werden, so werden sie doch kämpfen. Das ist kein kleines Land wie Finnland, das man als Kremlherrscher einfach so einsackt. Ach was sage ich? Selbst das hat ja seinerzeit nicht geklappt wie geplant. Einen Anschluss der Ukraine wie Österreichs 1938 wird es wohl nicht geben. Sanktionen des Westens wären zudem die sichere Folge.
  2. Putin hat auch wenig zu gewinnen. Die Ukraine ist arm. Kein Land in der Region hat sich seit 1990 so schwach entwickelt wie sie. Rumänien, Türkei, Russland – alle Schwarzmeeranrainer sind wirtschaftlich vorangekommen seit dem Zusammebruch der Sowjetunion. Die Ukraine ist die rote Laterne. Sie ist alles andere als ein Goldesel, wäre eher ein Kostgänger in einer neuen Sowjetunion.
  3. Strategisch würde ein solcher Schritt nicht ins Konzept des Kreml passen. Denken wir an die anderen Konflikte, an denen die Russen zuletzt beteiligt waren: Libyen, Syrien und Georgien. Jeder Schauplatz hat seine Eigenheiten, aber eines haben alle Konfliktherde gemeinsam: Die Russen sind militärisch immer eher zurückhaltend. Kein großer Einsatz von Bodentruppen, keine Engagement, das nicht wieder rückgängig gemacht werden könnte. Die Russen wollen kein neues Afghanistan.Dazu gehört insbesondere auch die Tatsache, dass Russland Separatisten-Territorien wie Donezk noch nicht annektiert hat. Wenn Putin das nicht einmal macht, warum sollte er dann versuchen, das ganze Land zu unterwerfen?   
  4. Die Ukrainer selbst wiegeln ab, sehen keine Kriegsgefahr. Dabei berufe ich mich auf persönliche Kontakte, aber auch auf führende Politiker des Landes. Selbst Präsident Wolodimir Selenski sagt, sein Land sei keiner größeren Bedrohung ausgesetzt als in den Vorjahren. Er warnt davor, dass der Westen Panik schürt. Auch andere ukrainische Offizielle widersprechen dem Kriegstrommeln, das aus Washington, Berlin oder Paris herüberdringt.
Eine Nachricht liest sich krasser als die nächste, so als stünde der Angriff unmittelbar bevor

Wieso also diese Hysterie wegen des angeblich bevorstehenden Krieges? Bei den Deutschen verstehe ich es am wenigsten. Vielleicht ist es westliche Überheblichkeit und Ablehnung fossiler Brennstoffe, der einige dazu bewegt, unbedingt Nordstream abschalten zu wollen. Bei den Amerikanern, auf deren Geheimdienstinformationen die Kriegsangst fußt, ist es wohl der Wille vom eigenen Unvermögen abzulenken. Präsident Joe Biden hat eine noch heftigere Inflationswelle (7,5‘%), sinkende Umfragewerte und offenbar keinen Plan, wie er aus den wirtschaftlichen Folgen der zweijährigen Coronakrise herauskommt. Da kommt ein Krieg gerade recht, der dann für Arbeitslosigkeit, steigende Staatsverschuldung und nicht-verwirklichte Wahlversprechen herhalten muss. 

Erinnerungen an irakische Massenvernichtungswaffen

Was ist mit den Beweisen? Ich kenne die nicht. Fernsehbilder von Manövern und russischen Panzerkolonnen (können überall und nirgends aufgenommen sein) überzeugen mich nur bedingt. Aber ich habe die „Beweise“ für die Existenz von Massenvernichtungswaffen in den Händen Saddam Husseins nicht vergessen. Auch nicht die unrühmliche Rolle, die die Geheimdienste damals gespielt haben bei der Manipulation der Öffentlichkeit. Bin ich der einzige, der sich daran erinnert? Bestimmt nicht. 

Daher halte ich die Aussagen, dass diese Woche ein Angriff der Russen auf die Ukraine stattfinden werde, für paranoid. ARD und ZDF scheinen nichts aus ihrem Reputationsverlust der letzten Jahre gelernt zu haben. Neben der Berichterstattung über die Flüchtlingskrise war die Ukraine-Berichterstattung der Öffentlich-Rechtlichen stets einer der Hauptgründe, warum Bürger gesagt haben, sie würden den Sendern immer weniger trauen. Die Zahl der Misstrauischen dürfte in den vergangenen Tagen und Wochen wieder gestiegen sein. Es gibt westliche Medien, die das Kriegsgeschrei kritisch hinterfragen, doch sie sind in der Minderheit.

Blick auf die Stadt am Dnejpr (2017)