
Natürlich waren es die Stimmen mehrerer AfD-Abgeordneter, die Kai Wegner zum Regierenden Bürgermeister gemacht haben. Hier ist die ganze Geschichte: Die AfD stellt 17 von 159 Abgeordneten im Berliner Abgeordnetenhaus. CDU und SPD verfügen zusammen über 86 Stimmen, wobei 80 für die Mehrheit reichen. Diese drei Zahlen kennt jetzt wohl jeder, der die Bürgermeisterwahl am 27. April 2023 verfolgt hat.

Im ersten Wahlgang hatte Kai Wegner nur 71 Stimmen. Im zweiten waren es 79. Das war knapp an der Mehrheit vorbei. Es gab eine 90minütige Sitzungsunterbrechung. Die AfD-Fraktion brauchte nicht lange, um die neue Lage zu besprechen, da wir dieses Szenario zuvor mehrfach erörtert hatten: Wenn Wegner in einen dritten Wahlgang muss, weil er zweimal die absolute Mehrheit verfehlt, dann müssen wir entscheiden, wie wir uns verhalten. Jeder hatte mehr als einmal darüber geschlafen.
„Die neue Berliner Landesregierung ist so divers, wie es manch linke Regierung gern wäre oder immer behauptet. Dass das ausgerechnet in einer CDU-geführten Regierung gelingt, dürfte Fans des Abzählens von Diskriminierungsmerkmalen an die Grenzen ihres engen Weltbildes treiben. … Mancher mag es nicht glauben, aber man muss ganz offensichtlich nicht gendern oder sich selbst als intersektional feministisch bezeichnen, um Vielfalt wichtig zu finden.“
Tagesspiegel-Kommentar, 26. 4. 2023
In den ersten zwei Wahlgängen – das war klar – konnte es keine Unterstützung für diesen Regierungschef geben, dessen Koalitionsvertrag vor linkem Kitsch nur so trieft: von einer Enquete-Kommission gegen Rassismus bis hin zu Queer-Beauftragten in allen Bezirken. Der Staat wird noch mehr Steuer-Milliarden für grüne Ökozaren (aka Klimaschutzpaket) verplempern. Dafür kein Wort davon, wie die autofahrerfeindliche Politik der letzten dreieinhalb Jahrzehnte rückgängig gemacht wird. Steuersenkungen? Fehlanzeige. Der Koalitionsvertrag kennt dieses Wort nicht einmal. (Das Modewort queer findet sich dafür 32mal.) Und das Wort Freiheit kommt fast nur im Zusammenhang mit dem Präfix „Barriere“ vor. Es ist eine Fortsetzung von Rot-Rot-Grün mit anderem Personal. Dazu konnten wir nur Nein sagen.
Keine eigene Mehrheit für Wegner – was nun?
Doch nun war offensichtlich, dass es für ein Bündnis aus CDU und SPD im Abgeordnetenhaus keine eigene Mehrheit gibt. Das änderte die Lage. Was wäre die Folge eines Scheiterns? Kai Wegner hätte den Grünen noch mehr Zugeständnisse machen und eine schwarzgrüne Koalition aushandeln können. Noch schlechter für die Autofahrer. Noch schlechter für den Wohnungsmarkt. Noch schlechter für Berlin!
Ohne neue Regierung wäre der alte Senat geschäftsführend im Amt gewesen. Franziska Giffey oder ein Nachfolger hätte eine neue rot-grün-rote Koalition aushandeln können. Auch das hätte – unter der Führung von jemandem wie Kevin Kühnert oder Raed Saleh – noch schlechter für unsere Stadt werden können. Der unaufhaltsame Abstieg Berlins würde sich noch weiter beschleunigen.
Außerdem gab es am 12. Februar ein klares Wählervotum: Die Berliner haben diesen Senat und seine ständigen Pleiten satt. Sie wollen den Termin auf dem Bürgeramt. Die Schule mit motivierten Lehrern. Die Sanierung der Brücken. Den Ausbau der U-Bahn. Den bezahlbaren Wohnraum. Den Polizeieinsatz gegen Klimakleber. Kurzum: Sie wollen den Wechsel. Können wir das einfach so ignorieren, auch wenn wir befürchten, dass die Wahlversprechen niemals eingelöst werden?
Es gab ein Wählervotum für den Wechsel
Zehn meiner Fraktionskollegen waren der Meinung, der Wechsel an der Spitze des Senats ist das kleinere Übel. Eine absolut legitime Haltung. Also einigten wir uns darauf, dass die zehn Wegner ihre Stimme geben, während wir sieben bei unserem Nein blieben. Wenn seine Wahl damit ermöglicht würde, dann war das ok. Wäre er gescheitert, dann wäre eben der Plan B in Kraft getreten. Berlin würde auch diese Not überstehen. Wir gingen jedoch davon aus, dass es für Wegner reichen würde.
Vergessen wir nicht: Auch wir kannten das Ergebnis vorher nicht. Am Ende lagen 86 Stimmen für Wegner in der Urne. Das heißt, dass sein Ergebnis von 79 Stimmen im zweiten Wahlgang auf 76 “eigene” Stimmen im dritten Wahlgang gesunken ist. Wegner hatte wieder keine Mehrheit unter den Abgeordneten seiner Koalition. Hätten unsere 10 AfD-Abgeordneten statt mit Ja mit Nein votiert (wie in den vorangegangenen zwei Wahlgängen), dann hätte Kai Wegner 76 Stimmen gehabt bei 81 Nein-Stimmen. (Es gab auch drei Enthaltungen, die es vorher nicht gab. Alles spricht dafür, dass drei Abgeordnete aus den Koalitionsfraktionen ihre Ja-Stimme im letzten Wahlgang in eine Enthaltung gewechselt haben.) Der Traum vom Umzug ins Rote Rathaus wäre beinahe geplatzt.
„Ich glaube, dass die AfD hier chaotisieren will“
Kai Wegner, Wort-Erfinder
Wir hatten vereinbart, die Details dieser Fraktionssitzung(en) im Vorfeld nicht nach außen zu tragen. Parteifreunde und Journalisten, die vor allem am Donnerstag im Minutentakt angerufen haben, können das bestätigen. Alle haben sich daran gehalten.
Warum haben wir dennoch Einblick in unsere Entscheidung gegeben? Weil die Lügen der Vertreter der Regierungsparteien nicht zu ertragen sind. Sie beschimpfen uns als „Demokratiefeinde“ und tun so, als hätten wir absichtlich einen Skandal produziert, gelogen oder betrogen. Dabei wissen sie es besser. Sie hatten zu keinem Zeitpunkt ihre Abgeordneten hinter sich. Ich habe viele Informationen über die vermeintlichen Beweggründe der Abweichler vor allem bei der SPD zu hören bekommen. Aber ich werde das hier nicht wiedergeben, weil es a) nicht um die Intrigen in der SPD gehen soll und b) sich nur um Gerüchte handelt.
Besonders peinlich ist auch, dass die meisten Mainstreammedien dieses Spiel der Mächtigen mitspielen. Auch von ihnen werden wir als Demokratiefeinde geframt. AfD-Stimmen für Kai Wegner sorgen für einen „schalen Nachgeschmack“ oder sind ein „rechter Haken, mit dem ein blaues Auge verpasst wurde“, um nur einige der Metaphern zu bemühen. Wo ist die Berichterstattung über die offensichtlichen Flunkereien von Wegner, Giffey und Co., die so tun, als hätten sie das Quorum aus eigener Kraft erreicht? Die Bild etwa behauptet nach wie vor, CDU und SPD hätten eine Mehrheit für Kai Wegner gehabt. Der Tagesspiegel hält es für unwahrscheinlich. dass unsere Version stimmt. Warum eigentlich?
“Einige bei uns sind verdammt gute Lügner“
namenloser CDU-Abgeordneter nach der Abstimmung laut Tagesspiegel
Ich bleibe bei den Fakten. Wir haben die zehn Abgeordneten, die Wegner unterstützt haben, benannt, um die Desinformationskampagne von CDU und SPD zu kontern.
Die anderen Parteien müssen lernen, dass wir keine Abgeordneten zweiter Klasse sind. Unsere Stimmen sind genauso wertvoll wie die von CDU, SPD, Grünen oder Linken. Wir vertreten 137.810 Berliner, die uns einen Auftrag erteilt haben. Ist das Demokratiefeindlichkeit? Böses Kalkül? Nein, das ist die Umsetzung der Idee einer Volksherrschaft durch ein parlamentarisches System. Nur so kann es funktionieren.
Parlamente sind der Ort, an dem die politische Auseinandersetzung kanalisiert wird. Die Ausgrenzung meiner Partei, die von allen anderen praktiziert wird, ist falsch. Sie widerspricht dem Prinzip von „one man, one vote“. Stimmen werden gezählt und nicht gewogen. Diese Botschaft sollte bei den anderen angekommen sein.
Ihr hättet ALLE für Kai Wegner stimmen sollen. Na das wäre eine Aufregung gewesen! Ob sie dann wieder antidemokratisch eine Wahl rückgängig gemacht hätten?